Ein Souvenir der anderen Art

Mit vielen religiösen Festivals in Indien geht eine Mela – ein Jahrmarkt – einher. Händler bieten Süßigkeiten, es gibt ein Kulturprogramm und Spielsachen werden verkauft. Ganz so wie bei der Kirchweih in Europa. Beim Besuch der Shiv-Puja in Jalpes, einer regional sehr bedeutenden Tempelstätte für den Gott Shiva, erregte besonders ein Spielzeugverkäufer meine Aufmerksamkeit. Er bot kleine Blechboote an, die angetrieben von einer Kerze in einer Wasserschüssel ihre Runden drehten. Ein ideales Souvenir, wie ich fand: Nicht schwer, nicht zerbrechlich, nicht verderblich, zudem günstig und ein schönes Mitbringsel für Kinder. Nach kurzem Verhandeln des Preises kaufte ich dem Händler fünf Exemplare ab und ging meiner Wege.

Souvenir-Händler auf einer Mela
Souvenir-Händler auf einer Mela
Blechboot mit Kerzenmotor
Blechboot mit Kerzenmotor

Als ich am nächsten Tag die Boote zuhause genauer inspizierte, war ich erstaunt. Drei Schiffchen waren hergestellt aus Deodorant-Dosen – eine sinnvolle Weiterverwertung, so mein Gedanke. Bei den nächsten beiden Booten allerdings wurde ich nachdenklich. Auf dem Blech war die Beschriftung „Faserfrisch – für alle Teppiche“ auf Deutsch zu lesen. Man kann sich leicht einen Reim darauf machen, wie Deodarant-Dosen mit deutscher Aufschrift als nach Asien kommen. Teppichreiniger als Abfallprodukt des weltweiten Tourismus erscheint mir aber skurril. Hatte ich einen handfesten Beweis für den Export deutschen Mülls ins Ausland in der Hand? Die Antwort muss ich offen lassen. Einzig dass der Abfall als geschätzter Zeitvertreib meiner Kinder nun wieder in Europa angelangt ist, lässt ein wenig positives Licht auf die Sache fallen. Müll-Reimport via Recycling-Spielzeug aus Asien. Ein Mitbringsel der anderen Art.

Teppich Reinigungs-Spray
Das Ausgangs-Material: Teppich und Polster Reiniger
Müllverwertung zu Spielzeug
Müllverwertung zu Spielzeug
Müll-Reimport - Das Schiffchen im heimischen Waschbecken
Müll-Reimport - Das Schiffchen im heimischen Waschbecken

Vom natürlichen Recht auf Werbung

Postkasten mit Werbung557 Gramm Werbe-Prospekte (nachgewogen!!!) waren dieser Tage in unserem Briefkasten – die stolze Ausbeute nur eines einzigen Tages. Eines beliebigen – wenn auch überdurchschnittlichen – Tages. Ich mag einsehen, dass der Zusteller verwirrt war, ob der vielen Namen am Briefkasten: Der Vermieter steht noch drauf, Andrea und die Kinder haben einen anderen Nachnamen als ich und unser aktueller und unser vorheriger Mitbewohner stehen auch noch da. Verständlich, dass jeder seine eigenen Prospekte benötigt – und auch bekommt. In Rücksprache mit allen Betroffenen haben wir eines Tages demokratisch beschlossen, dass wir fürderhin ganz auf nicht-adressierte Werbepost verzichten möchten. Ein Aufkleber „STOP – Keine Werbung!!!“ war schnell von Hand gemalt und am Briefkasten angebracht. Und natürlich an der Wohnungstür, um die kleinen Plastiktütchen mit Prospekten und die Speisekarten am Gummiring von der Pizzeria um die Ecke abzuwehren.

Eine schwere Last: Kaufanreize im KilogebindeDie Haltbarkeit der Aufkleber lag bei einem Tag. Dann waren sie verschwunden und der Postkasten wieder voller Reklame. Dreimal ging das ganze bisher so. Gestern schließlich habe ich einen Werbe-Verteiler in Aktion erwischt und ihn nach der korrekten Beschwerde-Adresse befragt. Die Ausweiskarte, die er mir vorzeigte, legitimierte ihn als Zusteller im Auftrag der Österreichischen Post. Ein Anruf auf der vermerkten Hotline-Nummer bestätigte, dass die Papierflut von einer 100-prozentigen Tochterfirma der staatlichen Post verteilt wird und dass wirksame „Stop-Keine Werbung!!!“ Aufkleber nur bei der Wirtschaftskammer erhältlich seien. Der Fachverband Werbung & Marktkommunikation unterhält eine eigene Abteilung zum Thema „Bitte kein Reklamematerial“ mit angeschlossener Hotline. Nach wenigen Minuten in der Warteschleife erklärt mir eine freundliche Dame das weitere Vorgehen: Einen adressierten und mit 55 Cent frankierten Rückumschlag mit Kennwort „Kein Werbematerial“ zuschicken und man erhält einen oder auf ausdrücklichen – schriftlich geäußerten – Wunsch bis zu drei Aufkleber. Warum nicht gleich für die ganze Hausgemeinschaft mitbestellen, denke ich mir und erfahre: Eine Sammelbestellung sei prinzipiell möglich, allerdings müsse hierzu eine Unterschriftsliste und eine Kenntnisnahme der Hausverwaltung eingereicht werden.

Von einer Unterschriftliste für eine Petition gegen die generelle Zumüllung mit unerwünschter Werbung weiß die Telefon-Stimme leider nichts. Wäre ja irgendwie nachhaltiger. Andererseits muß man hier auch ausdrücklich der pauschalen Entnahme seiner Organe widersprechen.(Organe) geben und (Prospekte) nehmen – ein natürliches Recht in Österreich.

Update: Hier das Antwortschreiben der besagten Agentur – vielleicht hilfts ja auch als Adressreferenz für weitere Werbe-Verweigerer.

Brief der Werbemittelverteiler Agentur
Brief der Werbemittelverteiler Agentur

Unterhaltung wie auf Schienen

Unterhaltung wie auf Schienen

Baul Sänger im ZugZugfahren ist eine fantastische Art, entspannt die Landschaft an sich vorüberziehen zu lassen und seinen Gedanken nachzuhängen. Mittlerweile wird man zumindest in Deutschland ab und an von einem freundlichen bahnuniformierten Wesen gefragt, ob man ein Heiß- oder Kaltgetränk zu sich nehmen möchte und in manchen Zügen steht Lektüre in Form von unternehmenseigenen Magazinen zur Verfügung. Integrierte Absatzkanäle und Public Relations. Aber so kommt zumindest keine Langeweile auf. Zum wirklichen Entertainment ist es allerdings noch ein weiter Weg. Indien ist da einige Schritte voraus. Die Züge sind praktisch offen für Händler jedweder Art – frei ist der Markt: Hier darf man auf Bahnreisen eine derart intensive Unterhaltung genießen, dass es schon an der Schmerzgrenze kratzt.

Als wir am im April mit dem Zug von Barpeta Road nach New Jalpaiguri unterwegs waren, haben wir uns an einer unsortierten Liste der Dinge versucht, die von fliegenden Händlern angeboten wurden. Was hier zu lesen ist, spiegelt das Angebot zwischen den zwei Stationen während einer Fahrtzeit von 42 Minuten wider.

Reisetaschen, Rasierapparate, Betelnuss, Zigaretten (trotz Rauchverbot im Zug), Musik-Keyboards, Taschenlampen, Wasserfarbensets, Scheren, Plastikteller, Küchenmesser, Zahnbürsten, Tiger Balm (und zahlreiche Plagiate desselben), Kaffee, Tee (verpackt und frisch gebrüht in zahlreichen Varianten: Zitronentee, Milchtee, Schwarzer Tee), Omelett auf Toast, Wasser (1 und 2 Liter-Flaschen), Bett-Tücher, Kekse, Nagelclipser, Mehrfachstecker, Uhren, Ferngläser, Miniatur-Vogelkäfige mit Elektro-Gezwitscher, Bananen, Gurken, Zauberwürfel, Lesebrillen, gewürzte Kichererbsen mit Senföl, Barbie-Puppen, Mundharmonikas, Matchbox-Autos (nicht das Original), CDs, DVDs, Videospiele, Puri Bhaji (Fladenbrot mit Kartoffelgemüse), Luftpumpen, Anti-Rutschmatten, Parfüms, Softdrinks, gesüßter Joghurt, Bauchweg-Trainer, Samosas (gefüllte Teigtaschen), Hand-Nähmaschinen, Zeitungen (in Englisch und in lokalen Sprachen), Make-up, Lippenstift, Haarbürsten, Badelatschen und Damenschuhe, Zauberzubehör, elektrische Feuerzeuge, Lufterfrischer, Deodorant, Bücher, Shampoo, Popcorn, Thermoskannen, Gamchas (sehr dünne Baumwollhandtücher), Unterwäsche, aufblasbare Kissen, Frottee-Handtücher, Kürbisse, Papayas, Kartoffelchips (eingefolte Markenprodukte und lokale frisch hergestellte), Tischdecken, Armreifen, Zier-Goldketten, Ketten und Schlösser, Kokosnuss-Snacks, Erdnüsse, Musik-Kassetten, Handtaschen mit ortstypischer Stickerei, Handy-Ladekabel, Massbänder, Regenschirme, Stifte, Taschenrechner, gekochte Eier, Batterien, Moskito-Netze für Kinder, tragbare Kassettenabspieler, Tisch-Telefone, T-Shirts, Regenjacken, Kartoffelschäler, Muri (gewürzte Reisflocken), Plastik-Dinosaurier, ferngesteuerte Spielzeug-Elefanten und LED-Lampen.

Zusätzlich boten Schuh-Polierer, Musiker, Zauberkünstler und Masseure für Kopf- und Körpermassage ihre Dienste feil. Bodenputzer, blinde und amputierte Bettler sowie Hijras (vereinfacht gesagt, das dritte Geschlecht in Indien) als Dienstleister zu bezeichnen, könnte uns dem Lächerlichmachen oder der Verkennung der sozialen Hintergründe verdächtig machen. Wertneutral sei daher festgestellt – sie fehlen auf kaum einer Zugfahrt.

Kaum hatten unsere Mitreisenden das Spiel durchschaut, wurde aus unserer Privatunterhaltung recht schnell ein Gesellschaftsspiel. Sobald ein Händler das Abteil betreten hatte, flogen uns die Namen neu erschienenener Artikel nur so um die Ohren. Die Landschaft kam bei der Fahrt sicher zu kurz. Aber eine nette Unterhaltung mit den Mitreisenden trotz Sprachbarriere will ja auch nicht verachtet sein.

Nach Weglegen des Notizbuches, einen Becher Kaffee in der Hand, tauchten dann doch Fragen ob des Warenangebots auf. Seife und Klopapier – zumindest eines von beiden ist auf längeren Zugfahrten immer hilfreich – konnten wir nicht sichten. Ein klares Versagen des Marktes – Nachfrage ja, Angebot nein. Gutgelaunt haben wir derartige Gedanken weitergesponnen: Wäre nicht die Leerlaufzeit während der Zugfahrt durch das wirtschaftlich aufstrebende Indien eine phantastische Absatzplattform für Kreditverträge, Versicherungen oder Urlaubsreisen? Vielleicht hört man ja in Zukunft Reisende folgendermaßen die Händler zurechtweisen: „Lassen Sie mich doch mal mit Ihren Zeitungen in Ruhe. Sehen Sie denn nicht, dass ich gerade eine Eigentumswohnung kaufe?“

Entertainment on the tracks

Entertainment on the tracks

Baul singers on the train
Two Baul Singers in the train

Traveling on the train is a fantastic way to let the landscape pass by while relaxedly daydreaming. Nowadays – at least in Germany – one is asked for a hot- or cold drink by a uniformed friendly being every now and then, and in several trains some reading is offered in form of corporate magazines. Integrated retail channels and public relations. But at least this helps avoiding boredom. However, for a real entertainment, it’s a long way to go. India in that respect is several steps ahead. Practically, the trains are open for any kind of traders – free market at its best. And consequently, the entertainment during a rail trip is almost painfully intensive.

During a train journey from Barpeta Road to New Jalpaiguri in April we have tried to compile an unsorted list of all the items offered by petty dealers. What you can read reflects the offer that was available during a 42 minute ride between two stations:

Travel bags, shaving machines, betelnut, cigarettes (despite no smoking in trains), music keyboards, torches, water color sets, scissors, plastic plates, kitchen knives, tooth brushes, Tiger Balm, coffee, tea (packed and fresh in different varieties: lemon tea, milk tea, black tea), omelet on toast, water (1 and 2 liter bottles), bed sheets, cookies, nail cutter, multi plugs, watches, binoculars, miniature bird cages with electronic twitter, bananas, cucumbers, magic cubes, reading specs, chick peas mixture, Barbie dolls, harmonicas, match box cars, CDs, DVDs, video game, puri bhaji, air pumps, anti sliding mats, perfume, cold drinks, sweet joghurt, body shape trainer, samosas, hand sewing machines, newspapers (English and local languages), make up, lipstick, hair brushes, slippers and footwear for women, magic utensils, electric gas lighters, room freshener, deodorant, books, shampoo, popcorn, thermos flasks, gamchas, underwear, air-pillows, towels, pumpkins, papayas, potato chips (local and fresh or branded), dining table covers, bangles, gold necklaces, chains and locks, coconuts, peanuts, music tapes, handicraft (handbags with embroidery), mobile chargers, measuring tape, umbrellas, pencils, calculators, boiled eggs, batteries, mosquito nets for children, walk-mans, STD-phones, T-shirts, rain jackets, potato peelers, muri, plastic dinosaurs, remote controlled plastic elephants, and LED lights.

Additionally, shoe polishers, musicians, magicians and masseurs for head- and body massages offered their services. By include floor sweepers, blind and amputated beggars and hijras (India´s third gender – simplified said) in the group of service providers suspicion could arouse that we ridicule or misconceive their social background. Neutrally stated – they are part of almost every train journey.

It wouldn’t be long till our fellow travelers understood our game and our private entertainment turned into a parlour game. As soon as a salesman entered our compartment, the names of newly available items hit us like an avalanche. Obviously, the landscape had to stand behind during this trip. But a good entertainment with fellow travelers despite language problems is not to be despised.

Yet after closing the notebook – a cup of coffee in hand – several questions about the offered goods arose. Soap and toilet paper – at least either of it is very useful during longer train rides – could not be sighted. A clear failure of the market – demand yes, offer no. In good mood, we took such thoughts ahead: Wouldn’t the long idle time during a train ride through economically uprising India qualify as a fantastic marketing platform for loan agreements, insurances or holiday packages? Perhaps in future times one can hear the travelers tell the marketeers off with a sentence like: “Could you please stop annoying me with your newspapers? Don’t you see, that I am just about to buy a new apartment?”