In der Autowaschstrasse

In der Autowaschstraße

Die Harish-Mukherjee Straße in KalkuttaDie samstägliche Autowäsche ist gleichermaßen Ritual wie Sinnbild spießbürgerlichen Schaffens. Was früher meist im Vorgarten gemacht wurde – ein Mann, ein Auto, ein Schwamm – ist mittlerweile weitgehend automatisiert. Die Reinigung erfolgt nun entweder in mit Hochdruckreinigern ausgestatteten Do-it-yourself-Waschanlagen oder man fährt bequem zur Auto-Waschanlage. In Indien lebt sie fort, die innige Dreiecks-Beziehung Mann-Auto-Schwamm. Wenn auch institutionalisiert. Die Harish-Mukherjee-Road in Kalkutta ist eine Straße der Autowäscher. Die indische Form der Waschstraße. Am frühen Morgen ist die Straße gelb umrandet. Die Reihe von Taxis zieht sich bis zum Horizont. An den Pump-Brunnen stehen Männer mit Eimern um Wasser an. Andere polieren fleißig Blech und Innenbereich der Fahrzeuge. Bevor die Hitze des Tages einsetzt, ist das Treiben besonders ansehnlich. Vor dem Einsetzen des unbändigen Verkehrsstromes kann man noch gemütlich auf der Straße laufen. Und von dort hat man auch einen besseren Blickwinkel auf die vielen herrschaftlichen Häuser, die die Straße säumen. Man kann in Ruhe die Stadt beim Aufwachen beobachten. Hunde werden ausgeführt, Menschen machen im Park Gymnastik oder laufen Runden. An den Teeständen sitzen Männer beim Zeitunglesen, oder in kleinen Gruppen zum Gespräch. Der Geruch von Bidis wabert über ihren Köpfen. Die indische Minizigarette, etwas Tabak eingerollt in ein Blatt, gilt als exquisite Vorbereitung des Darmes auf die erste Tagesaufgabe. Blumenverkäufer finden ihre Kunden in gläubigen Hindus, die zum Opfergang an einem der vielen kleinen Schreine unterwegs sind. Und am Ende der Straße, im Umfeld eines Sikh-Tempels, kann man bei einem Ton-Pott voll Tee, oftmals als bester der Stadt gepriesen, gut die Eindrücke des Morgenspaziergangs noch einmal Revue passieren lassen.

Free choice, not obligation – a visit to the car-washing street

Free choice, not obligation – a visit to the car-washing street

Harish-Mukherjee-Road in Calcutta
Taxi on Harish Mukherjee Road Kolkata

Religiously cleaning the car each and every Saturday is both a ritual and a metaphor for Philistinity. What in former times was normally done in front of the private garage – a man, a sponge, a car – nowadays is mostly automated. The cleaning now is done with high pressure cleaners or the car is comfortably put into a car wash plant. In India the tradition of the holy trinity man-car-sponge lives on. Though institutionalised. Calcutta’s Harish-Mukherjee-Road is a street of car washers – an Indian style car wash plant. Early mornings the streets are framed in yellow. The line of taxis stretches to the horizon. On pumping wells men line up to fill their buckets. Others sedulously polish plate bodies and interior of the cars. The goings is best to be observed, before the heat of the day sets in. Before the fractious traffic starts, one can easily stroll on the middle of the road. From there the perspective on the many stately houses that border the street is much better. Unhurriedly, one can observe the city awake. Dogs are walked, and people are doing gymnastics or walk their rounds in the park. In front of the tea stands, men sit together in small groups, reading newspapers or gossiping. The smell of beedies is wafting above their heads. The Indian mini-cigarette – some tobacco rolled into a leaf – is considered an exquisite preparation of the bowels for their day’s first duty. Flower vendors find their customers in pious Hindus who are on their way for worshipping in one of the small shrines. And at the end of the scenic road, next to a Sikh-Temple, one can nicely reflect the impressions of this morning walk with a cup of tea in an earthen pot.

Stadt, Land, Fluss – Kalkutta und die Sunderbans

Stadt, Land, Fluss – Kalkutta und die Sunderbans

Pilger Kalkutta
Zwei Sadhus - Männer, die ihr Leben dem spirituellen Dienst widmen -mit orangefarbenen Kopftüchern und Bemalung auf der Stirn sitzen auf der Straße vor dem Kali Temple in Kalkuttas Stadtteil Kalighat.

Leicht verspätet zum Karneval ein Gruß nach Köln. Die quirlige Rheinmetropole ist nicht eben bekannt als Raum der Stille und Einsamkeit. Im Vergleich mit Kalkutta ist sie – mal abgesehen von der Karnevalszeit – ein Naherholungsgebiet. Die Bevölkerungsdichte der indischen Mega-City ist zehnmal höher als die der Stadt am Rhein. Diese Konzentration an Menschen hat ausgesprochen angenehme Auswirkungen. Es gibt viel Kultur, viel zu beobachten, viel zu erleben.

In der College-Street umranden Buchstände einen Park stattlichen Ausmaßes. Die Stände sind klein und die Bücher sind gestapelt vom Verkaufstisch bis unter das Ladendach. Es gibt Spezialstände für allerhand Fachrichtungen und was der eine nicht anbieten kann das hat vielleicht ein anderer. So wandert man von Auslage zu Auslage, die Frage wie sich die vielen Stände nebeneinander seit Jahrzehnten behaupten immer im Hinterkopf. Zum Nachsinnieren bietet sich ein Besuch im Kaffeehaus der indischen Kaffeearbeiter-Gewerkschaft an. Dort sind große Gedanken eine feste Einrichtung. Es wird geraucht, Kaffee wird geschlürft und Häppchen geknabbert – die bengalische Intelligenz, vor allem aber Studenten, geben sich hier die Klinke in die Hand. Im männlich geprägten Philosophen-Ambietente springen die wenigen Frauen direkt ins Auge.

Daheim auf dem Gehsteig in Kolkata
Eine Bleibe ohne Dach - der Hausstand einer Familie auf dem Gehsteig einer Strasse in Kalkuttas Süden

In 51 Teile wurde die Göttin Kali dereinst zerschmettert und eine ihrer Zehen ist im Süden der heutigen Stadt gelandet. Ein Tempel ihr zu Ehren ist Mittelpunkt des Stadtteils Kalighat. Zu Hunderten strömen täglich ihre Anhänger die kleine Straße entlang. Ausländer werden bereits kurz nach der Metrostation von eher scheinheiligen Fremdenführern umlagert, die aufdringlich ihre Unterstützung beim Tempelbesuch anbieten. Vor dem Tempel liegt ein Teppich von Bettlern beiderlei Geschlechts und jedweden Alters. Soziale Mildtätigkeit und geistige Erhellung scheinen ein untrennbares Paar – direkt neben dem Tempel befindet sich eine Zweigstelle der Mission, die von Mutter Theresa gegründet wurde. Etwas abseits vor einem Hauseingang kitzelt eine Mutter ihren Säugling, sodass dieser vor Freude juchzt. Momente des Glücks in einem Zuhause ohne Dach.

Die negativen Seiten kann Kalkutta nur schwer vor seinen Besuchern verstecken. Viel Müll, viel Lärm, viel Gedränge auf dem Bürgersteig, die Stadt ist vor allem eines: Viel – von allem. Richtig bewusst wird einem dies, wenn man die Stadt Richtung Süden, gen Meer, verlässt.

Die Landschaft wird weitläufiger, die Häuser kleiner. Auch hier leben die Menschen in den wenigen Dörfern und Kleinstädten dicht gedrängt und das Auto kann sich nur im Schritt-Tempo durch die Massen kämpfen. Aber die Ansiedlungen reihen sich nicht nahtlos aneinander wie in Kalkutta. Reisfelder, Shrimp-Farmen und Fabriken prägen das Gebiet. Die Sumpfgebiete, die heute in und unmittelbar um die Stadt herum mit großem Aufwand zu wertvollem Bauland für Wohnprojekte trockengelegt werden, sind hier Lebensgrundlage. Der ausgegrabene Schlamm wird zu Backsteinen verarbeitet, die entstandenen Löcher geflutet und mit Krabben-Laich bestückt.

Shrimp Laich abfangen in den Sunderbans
Eine Frau schleppt sich durch den Fluss, um mit einem engmaschigen Netz den Laich wilder Krabben aus dem Wasser zu fischen. Eine gefährliche, mühsame und umweltschädliche Angelegenheit, aber oft ein Einkommen ohne Alternativen.
Willkommen im Sunderban Nationalpark
Eingang zum Nationalpark Sunderbans

In Sonakhali endet die Fahrt an einem Bootsanleger. Die Sunderbans sind eine Inselwelt, Autos sind hier selten. Auf dem Weg flußabwärts kann man die Rohstoffproduktion der Krabbenfarmen beobachten. Frauen waten knietief im Wasser und ziehen feine Netze hinter sich her. Ein ebenso beschwerlicher wie gefährlicher Lebensunterhalt, Hai- und Krokodilattacken sind keine Seltenheit. Im Nationalpark Sunderbans sind die Krokodile eine der Hauptsehenswürdigkeiten. Nach deren Sichtung ist der Anblick von Rehen und Wildschweinen eine Attraktion zweiter Klasse. Der Tiger wird das anders sehen, stellen diese doch seine wichtigste Nahrungsquelle dar. Sein Revier sind die undurchdringlichen Mangrovenwälder – ein Revier das keines ist, weil mit jeder Flut seine Markierugen weggewaschen werden. Der König von Bengalen ist ein rastloser Wanderer und man trifft ihn nur selten, obwohl kein anderer Nationalpark so viele Exemplare verzeichnet. Verloren in der Ruhe und Weite der menschenfeindlichen Welt der Sunderbans verblasst langsam die Anspannung des Großstadtbesuches.

Sport Sunderbans Indien
Während der Mela, dem großen Fest, messen Männer wie Frauen ihre Kräfte im sportlichen Wettkampf.

Unterhaltung bietet die alljährliche Mela. Auf dem Dorfplatz versammeln sich am Abend die Bewohner der nahegelegenen Dörfer, um Tanzaufführungen und Gesangsdarbietungen zu bestaunen, die von Schulkindern und engagierten Volkskünstlern auf die Bühne gebracht werden. Dem Abendprogramm geht während des Tages ein Sport- Spielprogramm voraus. Männer in Lendenschurz treten im Wettstreit gegeneinander an, die Regeln des Spieles erinnern an das englische Rugby allerdings ohne Ball. Die Frauen messen sich in einer Mischung aus Rennen und Geschicklichkeit, es gilt auf halber Strecke einen Faden durch ein Nadelöhr zu bringen. Die Jugendlichen üben sich in Weitsprung und Kugelstoßen.

Das Leben scheint fröhlich, und wenn auch einfach, so bestimmt nicht leicht. Langsam fast verschämt scheint die Gegend am wirtschaftlichen Aufschwung Indiens teilhaben zu dürfen. Die Deiche werden befestigt und die schmalen mit Backsteinen gepflasterten Straßen werden verbreitert. Einem Anachronismus gleich durchschneidet ein Motorrad die Beschaulichkeit des ländlichen Lebens. Vielleicht war es die Klima-Debatte, die dem riesigen Flußdelta zu mehr Aufmerksamkeit verholfen hat. Ganze Inseln seien verschwunden, so wurde berichtet. Aber auch von Landerweiterungen durch Aufforstungsprogramme ist zu hören. Die Sunderbans sind im Wandel. Wie anders die Welt sein kann wird einem spätestens bewusst, wenn man wieder die Straßen Kalkuttas betritt.

Die Bundeszentrale für Politische Bildung hat einen sehr feinen Artikel über Kalkutta veröffentlicht.